Hanna Meretoja : Die Nacht der alten Feuer
Buchbesprechung von Frank Rehag, Dezember 2024
dt. Erstausgabe: 2024 - mare Verlag, Hamburg
finn. Originalausgabe: 2022 - WSOY, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Elotulet"
aus dem Finnischen von Stefan Moster
»Da dachte sie, dass Zwangspositivität zum Glück nicht zu den Pathologien der finnischen Kultur zählt, jedenfalls nicht so stark. Hier ist es akzeptabel, ab und zu düsterer Stimmung zu sein. Ohne obligatorischen Optimismus ist es leichter, spontane Freude und Glücksmomente zu erleben.« (Hanna Meretoja / Stefan Moster | Die Nacht der alten Feuer | Seiten 161/162)
Mit einem literarischen Kammerspiel wartet Hanna Meretoja in ihrem Debütroman Die Nacht der alten Feuer auf. Bei einem Sommerhaus in Parainen in den finnischen Schären spielt an einem einzigen Spätsommertag die Geschichte um Hauptfigur Elea, die ihre Freundinnen und Freunde zum Lebensfeuerfest eingeladen hat. Ein Fest, von dem sie seit langem träumte und auf das sie sich freute; ein Fest, das zum Ende der Isolation aufgrund der Corona-Pandemie etwas besonderes werden sollte; ein Fest, zu dem die Gäste anstatt sonstiger Mitbringsel eine Meeresgeschichte mitbringen, die sie dann vortragen; ein Fest, das den Sommer beendet und die Menschen auf die Dunkelheit vorbereitet. Doch Dunkelheit umgibt nun Elea, die kurz vor den Feierlichkeiten zur Nacht der alten Feuer die Diagnose Krebs erhielt, hormonell bedingter Brustkrebs. Von der Erkrankung weiß bisher nur Eleas Familie: Ehemann Otto und die beiden Kinder im frühen Teenageralter, Elliot und Iiris. Am Tag des Festes offenbart sie sich gleich zu Beginn den Gästen, die sich schon seit Studienzeiten kennen. Diese Nachricht verändert die Atmosphäre auf der Feier. Alle kämpfen mit ihren eigenen Reaktionen und sind gezwungen, ihre Beziehungen zu sich selbst, zueinander, zum Leben und zum Tod zu überprüfen. Die Emotionen flammen auf wie das Lagerfeuer in dieser Nacht…
Zwar ist Elea die zentrale Figur dieses Romans, aber es gibt auch tiefe Einblicke in die Perspektiven aller anderen, die eine Vielzahl von Sorgen und Erfahrungen zu bewältigen haben: Matias, Arzt und Elliots Patenonkel, der die Situation mit seiner medizinischen Kompetenz beruhigen möchte, während er gleichzeitig den Wunsch hegt, Elea gegenüber seine heimlich vorhandene Liebe zu gestehen – bevor es zu spät sein könnte; Aura, Matias’ Frau, die selber ein schweres Trauma mit sich herumschleppt, sich aber nun schuldig fühlt, weil sie immerzu neidisch und eifersüchtig auf Elea war, da diese es angeblich so leicht im Leben hatte; Salma, die ihre Partnerin Veera während der Corona-Pandemie durch eben jenes Virus verloren hat und nun ihrer Tochter Aida beisteht, die sich die Schuld am Tod einer ihrer Mütter gibt, ein Gefühl, das Salma schon früher selbst durchgemacht hat. Und dann ist da noch Otto, dessen vages Philosophen-Gerede Elea immer wieder verärgert. Wäre Otto überhaupt noch da für die Familie, wenn sie nicht mehr da wäre? Sogar Iiris fragt sich, ob der Vater für sich, Elliot und sie sorgen könne, wenn die Mutter sterben würde. Überhaupt wirken die Kinder in diesem Roman aufgeräumt, kreativ und klug, als ob sie durch die gemachten Erfahrungen mit ihren Müttern und der Pandemie schneller an den Rand zur Erwachsenenwelt katapultiert worden sind – auch wenn regelmäßig noch der kindliche Spieltrieb durchscheint.
Auf wunderbare Weise schildert Hanna Meretoja die Gedanken und Gefühle, die mit einer schweren Krankheit und der Konfrontation mit den Grenzen des Lebens einhergehen. Auslöser für diesen autofiktionalen Roman war die eigene Erfahrung der Autorin mit Brustkrebs und der dadurch entstandene Wunsch, Wege zu finden, diese Erfahrung auszudrücken – sowohl aus der Sicht der Betroffenen als auch aus der Sicht der nahen Angehörigen und Freunde. Wie ihre Protagonistin Elea ist Hanna Meretoja Literaturwissenschaftlerin und dieser Hintergrund wird in vielerlei Hinsicht deutlich. Mittels literarischer Anspielungen auf mehr oder wenige bekannte Werke in der Literatur untersucht sie die existentielle Krise, die die Diagnose einer schweren Krankheit mit sich bringt. Am Lagerfeuer erzählen sich die Freunde ihre Meeresgeschichten und setzen sich so mit ihrer eigenen Verletzlichkeit auseinander, dabei werden auch lange vergrabene Geheimnisse gelüftet. Allerdings wirkt das ständige Zitieren von Schriftsteller(inne)n teilweise ermüdend, hier wäre weniger vielleicht mehr gewesen, aber das ist ein Herummäkeln auf hohem Niveau. Mit poetischer Sprache, hoher Reflexionsfähigkeit und zahlreichen Bonmots begehen die Figuren dieses Romans eine literarische Therapie, wie vermutlich auch das Schreiben dieses Romans eine therapeutische Wirkung für die Autorin hatte und die Lektüre dieses Romans für betroffene Leser(innen) als therapeutische Unterstützung dienen könnte. Sicherlich ist jede Erfahrung anders, aber die Behandlung des Themas auf so vielfältige Weise wird Betroffenen und deren Angehörigen Unterstützung, Trost und Denkanstöße geben, wenn sich psychische Auswirkungen und Gefühle wie Angst, Wut, Traurigkeit, Niedergeschlagenheit oder Mutlosigkeit Bahn brechen. Jedoch bietet dieser Roman noch mehr: er vereint auf raffinierte Weise aktuelle Themen dieser Welt, wenn die Gedanken der Protagonisten um allgemeine gesellschaftliche Anliegen wie die Sorgen um Klimawandel, Umweltbedrohungen, Pandemien und neue globale Krisen kreisen. Die Nacht der alten Feuer ist ein äußerst lesenswerter, sowohl nachdenklich als auch Mut machender Roman, der wichtig ist in dieser sich schnell wandelnden Zeit.