Elina Pitkäkangas : Die Gabe des Schattenkriegers
Buchbesprechung von Ulrike Krüger-Stephan, Oktober 2025
dt. Erstausgabe: 2025 - cbj in der Penguin Random House Verlagsgruppe, München
finn. Originalausgabe: 2022 - WSOY, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Sang"
aus dem Finnischen von Claudia Nierste, Sarah Onkels
In Fusang, einem asiatisch inspirierten Staat, in dem alle Bürger ein Gerät am Handgelenk tragen, das ihren Kontostand – und damit ihren Wert – anzeigt, wachsen die Brüder Kong Quiren und Kong Dawei in einem Waisenhaus in den Bergen auf. Um ihre Bürgerschulden zu begleichen und ihre Ziehgeschwister finanziell zu unterstützen, haben sie sich den Bianfu angeschlossen. Sie sind Schattenkrieger mit speziellen Fähigkeiten, die als Kuriere Schmuggelwaren transportieren. Als Kong Quiren kurz vor seinem zwanzigsten Geburtstag verschwindet und Kong Dawei darüber informiert wird, dass die Schulden seines Bruders auf ihn übergehen werden, beschließt Kong Dawei einen lukrativen Auftrag anzunehmen, der eigentlich gegen seine Prinzipien verstößt. Aber was sind Prinzipien wert, wenn das Wohl der Familie auf dem Spiel steht? Die Handlung, die sich von diesem Ausgangspunkt entwickelt, führt Kong Dawei in die Hauptstadt Fusangs und in die Hände des Tigerclans. Es zeigt sich, dass der Auftrag nur ein erster Schritt auf dem Weg ins Erwachsenenleben ist, und Kong Dawei noch viele weitere Opfer bringen muss...
Die in drei Teile gegliederte Geschichte wird überwiegend in einem ruhigen Tempo, mit zahlreichen Rückblenden und Einschüben, erzählt. Sie legt viel Wert auf Atmosphäre und ermöglicht es, tief in die fremden Kulturen Fusangs einzutauchen. Die Figur Kong Dawei ist hierbei ein stiller Held – nicht nur aufgrund des Schweigegelübdes, das er als Kind im Andenken an seine Mutter abgelegt hat. Dennoch muss darauf hingewiesen werden, dass es im Buch dramatische und zum Teil sehr grausame Szenen gibt. In der sorgfältig und mit Bedacht aufgebauten Welt sind zum Teil Probleme und Entwicklungen unserer Gegenwart präsent. So besteht ein starker Zusammenhang zwischen der (sozialen) Herkunft und den Lebens- und Entwicklungschancen eines Menschen. Wer seine Schulden bis zum zwanzigsten Lebensjahr nicht beglichen hat, wird ins Arbeitslager geschickt. Und obwohl innerhalb der herrschenden Clans Spannungen herrschen, scheinen Aufstände wenig erfolgversprechend. Magie existiert vor allem als (göttliche) Lebensenergie, die nur wenige – wie die Bianfu – zu nutzen wissen.
Mit Die Gabe des Schattenkriegers ist Elina Pitkäkangas ein großartiger, spannender Fantasyroman gelungen, der im Laufe der Geschichte einen unheimlichen Sog entwickelt. Es geht um Freundschaft und (queere) Liebe, Loyalität und vor allem den Mut, sich Gehör zu verschaffen. Da das Ende relativ offen ist, bleibt zu hoffen, dass die im Jahr 2023 erschienene Fortsetzung ebenfalls übersetzt werden wird.