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Arttu Tuominen : Was wir nie verzeihen
('Delta'-Reihe, Bd. 3)

Buchbesprechung von Frank Rehag, Januar 2024

dt. Erstausgabe: 2023 - Bastei Lübbe, Köln
finn. Originalausgabe: 2021 - WSOY, Helsinki
Titel der finnischsprachigen Originalausgabe: "Vaiettu"
aus dem Finnischen von Anke Michler-Janhunen
Dritter Band der auf sechs Teile angelegten Delta-Reihe über die Polizeieinheit in Pori. Standen in den Vorgängerbänden Jari Paloviita und Henrik Oksman im Mittelpunkt der Handlungen, hätte ich dieses Mal mit Linda Toivonen oder Susanna Manner als Hauptprotagonistin gerechnet. Doch eine Hauptfigur aus dem Ermittlerkreis gibt es in Was wir nie verzeihen ebenso wenig wie einen traditionellen unterhaltsamen Kriminalroman, für den Arttu Tuominen bislang aber eh nicht steht – komplexe Charaktere und gesellschaftlich relevante Themen zeichnen seine Kriminalromane aus. Dieses Mal stehen ein Greis und ein lange Zeit totgeschwiegenes Tabu der finnischen Geschichte im Fokus. Inspiriert für die hier vorliegende Handlung wurde Tuominen durch einen Zeitungsartikel über mögliche Kriegsverbrechen von finnischen SS-Freiwilligen. Ein verantwortungsvolles und hochbrisantes Thema, zu dem er sorgfältig Vorarbeit leistete. Seine Idee war es, fiktive Figuren in einem realen geschichtlichen Rahmen mit den bekannten Protagonisten der Delta-Reihe zu kombinieren.

Spätabends wird im Park eines Pflegeheims der bereits 97-jährige Albert Kangasharju von zwei Männern überfallen und misshandelt. Jedoch werden die Täter gestört und können fliehen. Der Versuch, ihn aufzuhängen, scheitert. Die Kriminalpolizei wird auf den Plan gerufen und noch am selben Abend erfolgt ein zweiter missglückter Versuch, Kangasharjus Leben ein Ende zu bereiten, diesmal im Krankenhaus, in das er eingeliefert wurde. Jari Paloviita kann rechtzeitig dazwischen gehen, den mutmaßlichen Mörder jedoch nicht am Entkommen hindern. Das Ermittlerteam steht vor einem Rätsel. Wer will einen alten Mann töten, der ohnehin nicht mehr viele Jahre zu leben hat? Und aus welchem Grund? Kurze Zeit später brechen zwei Männer in das Haus des Ehepaars Halminen ein. Der 98-jährige im Rollstuhl sitzende Klaus Halminen wird gewaltsam verschleppt. In einem Vogelschutzgebiet etwa eine Stunde Autofahrt entfernt wird seine Leiche gefunden, aufgehängt. Etwas Licht kommt ins Dunkel, als im Haus der Halminens die Uniform eines SS-Scharführers gefunden wird. Klaus Halminen hat im Zweiten Weltkrieg in den Reihen der Waffen-SS gekämpft. Scheinbar ist Rache das Motiv für die Überfälle. Doch wer hat knapp 75 Jahre nach Ende des Krieges Interesse daran, die beiden alten Männer zu töten? Möglicherweise agiert der israelische Geheimdienst auf finnischem Boden, um die damaligen Verbrechen zu sühnen. Die Beteiligung des Mossad würde jedoch bedeuten, dass dieser Fall keiner mehr für die örtliche Kripo wäre und an den Staatsschutz abgetreten werden müsste. Aber diente auch Albert Kangasharju für die Waffen-SS und war auch er während des Krieges an Gräueltaten beteiligt?...

Die Leser(innen) haben eine ziemlich klare Vorstellung davon, wer hinter Albert Kangasharju her ist und warum. Neben den Ermittlungen in der Gegenwart spielt Was wir nie verzeihen auch in der Vergangenheit in Finnland, Deutschland und der Ukraine im Jahr 1941. Albert Nousiainen – so hieß er damals – geht mit weiteren Finnen als SS-Freiwilliger zur militärischen Ausbildung nach Deutschland. Im Dienst von Nazi-Deutschland passieren in der Folge immer mehr schreckliche Dinge. Die Beschreibungen sind bewegend und beeindruckend zugleich, äußerst nüchtern und mit chirurgischer Präzision gibt Tuominen die ganze Brutalität des Krieges an der deutschen Ostfront ohne Beschönigungen wieder. In der Gegenwart betrachtet er mithilfe seiner Ermittler die im Krieg beteiligten Personen aus mehreren Blickwinkeln und überlässt es weitgehend den Leser(inne)n, Interpretationen vorzunehmen und moralischen Fragen nachzugehen. Wie lange hält Schuld an? Reicht ein langes Leben im Sinne der Gesellschaft, um schlimme Taten in jungen Jahren zu zeitlich besonderen Umständen wieder gut zu machen? Wie hätte man zur damaligen Zeit selber gehandelt?

Bedrückend, aufwühlend und absolut lesenswert ist dieser atypische Kriminalroman. Gerade in der jetzigen Zeit, in der sich Antisemitismus lautstark ungehindert Bahn bricht, ist dieser Roman ein enorm wichtiger Beitrag, der wach zu rütteln vermag. Es ist unverzichtbar, alte und teilweise vergessene Themen immer wieder aufzugreifen, damit Gräueltaten wie die damaligen niemals vergessen werden und sich nicht wiederholen. Die Menschen heute sind vermutlich nicht besser oder schlechter als die früherer Generationen, haben aber die Möglichkeit, mehr zu wissen – und infolgedessen bessere Entscheidungen zu treffen.

Hintergrundinformation: Die finnische Regierung erlaubte nach langen Verhandlungen im Frühjahr 1941 die Rekrutierung finnischer Staatsangehöriger in die Waffen-SS. Eine erste Gruppe von etwas über hundert Freiwilligen, die überwiegend bereits im Winterkrieg 1939/1940 gegen die Sowjetunion gekämpft hatten, kam im Mai 1941 nach Deutschland und bildete den Kern des Finnischen Freiwilligen-Bataillons Nordost. Bis zum Krieg gegen die Sowjetunion am 22. Juni 1941 wuchs die Stärke des Bataillons auf über 400 Mann an, die zur SS-Division Wiking gehörten. Deren Mannschaften bestanden aus ausländischen Freiwilligen. Sie kamen aus "germanischen bzw. artverwandten Völkern", wie es in der Sprache des Nationalsozialismus hieß, dazu zählten Flamen, Wallonen, Niederländer, Esten, Dänen, Schweden, Norweger und Finnen. Weitere Rekrutierung in der zweiten Jahreshälfte ließ die Zahl der Finnen in der Waffen-SS auf über 1100 Mann steigen. Im Zuge des deutschen Überfalls auf die Sowjetunion ermordeten Angehörige dieser Division mehrere Hundert Juden. Sie werden auch für das Massaker im zwischen Ternopil und Lwiw gelegenen Zborow im Juli 1941 verantwortlich gemacht, bei dem 600 jüdische Einwohner ermordet wurden.

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